Es kracht – und das ist gut so

Dagmar Ponschab / Andreas Otterbach /
Blog aus unserer Praxis
Das Bild steht in Zusammenhang mit Mediation und Konfliktlösung durch die Kanzlei Ponschab & Partner und zeigt folgendes: Drei Personen sitzen an einem Tisch in einem Büro. Ein Mann gestikuliert beim Sprechen, eine Frau schaut frustriert mit der Hand auf dem Kopf, und ein anderer Mann hört zu. Laptops, Dokumente und eine Kaffeetasse stehen auf dem Tisch. Bei Fragen zu Konflikten und Konfliktlösung wenden Sie sich bitte an uns unter info@ponschab-partner.com

Diesen Gedanken hatten wir, als wir zu einer Mediation in einem Familienunternehmen gerufen wurden.

Der Hintergrund

Das Unternehmen bestand seit drei Generationen. Die Eltern führten den Betrieb mit ruhiger Hand, solide, traditionsbewusst. Nun sollten die beiden Kinder – Mitte 30, voller Energie – mehr Verantwortung übernehmen.

Die Erwartungen klafften weit auseinander:

  • Die Jüngeren wollten Prozesse digitalisieren, E-Commerce ausbauen, neue Märkte erobern.
  • Die Älteren hielten dagegen: „Wir sind erfolgreich, so wie wir es immer gemacht haben.“

Anfangs waren es nur Meinungsverschiedenheiten. Doch bald eskalierten die Treffen.

Der Sturm

Wir erinnern uns noch an die erste gemeinsame Sitzung:
Der Vater, sichtlich angespannt, schlug mit der Hand auf den Tisch:
„Ihr wollt unser Lebenswerk aufs Spiel setzen!“

Die Tochter konterte scharf:
„Wenn wir so weitermachen wie bisher, gibt es in zehn Jahren kein Lebenswerk mehr.“

Die Mutter schwieg lange – bis sie schließlich leise sagte:
„Ihr vergesst, dass wir unser ganzes Leben für dieses Unternehmen geopfert haben.“

Der Sohn rollte mit den Augen, schob den Stuhl zurück und murmelte:
„Genau deshalb geht hier nichts voran.“

Stille. Eine Stille, die mehr verletzte als jeder laute Satz.

Uns war sofort klar: Hier ging es längst nicht mehr nur um Strategien. Es ging um Identität, um Anerkennung und um die Angst, Kontrolle zu verlieren.

Die Anamnese

Unsere erste Aufgabe ist in solchen Situationen immer dieselbe: zuhören, Fragen stellen, die unausgesprochenen Ebenen sichtbar machen.

  • Der Vater sprach von seiner Angst, dass das Unternehmen in „fremde Hände“ gerät – obwohl es doch in der Familie bleiben sollte.
  • Die Tochter erzählte, dass sie sich seit Jahren unterschätzt fühlte, obwohl sie einen MBA abgeschlossen und Auslandserfahrung gesammelt hatte.
  • Der Sohn gab zu, dass er frustriert sei, weil er immer nur „der Praktiker“ genannt wurde, während seine Ideen im Controlling sofort abgewürgt wurden.
  • Die Mutter gestand, dass sie nachts kaum noch schlief – aus Sorge, dass die Familie zerbricht, bevor das Unternehmen es tut.

Es war kein leichter Prozess. Doch genau hier beginnt echte Mediation: dort, wo Ehrlichkeit Raum bekommt.

Regeln für Zusammenarbeit

Auf dieser Basis erarbeiteten wir konkrete Vereinbarungen:

  1. Redereihenfolge – jeder darf ausreden, ohne unterbrochen zu werden.
  2. Transparenz – Entscheidungen werden dokumentiert und gemeinsam geprüft.
  3. Zeitfenster – kontroverse Themen werden auf feste Termine gelegt, statt in Familienfeiern hineinzuschwappen.

Allein diese Klarheit brachte spürbar mehr Ruhe in die Gespräche.

Konfliktkultur etablieren

Doch wir wussten: Regeln allein würden nicht reichen. Konflikte würden wieder auftauchen. Deshalb entwickelten wir gemeinsam mit der Familie einen Notfallplan:

  • Sobald einer merkt, dass Gespräche kippen, wird ein Stopp-Zeichen gesetzt.
  • Danach folgt eine kurze Reflexion: „Was hat mich gerade so verletzt oder getriggert?“
  • Falls keine Lösung sichtbar wird, wird ein neutraler Dritter hinzugezogen – bevor sich die Fronten erneut verhärten.

So entstand eine Kultur der Früherkennung: Konflikte durften benannt werden, bevor sie eskalieren.

Der Fortschritt

Einige Wochen später trafen wir die Familie erneut.
Der Unterschied war spürbar.

Die Tochter berichtete:
„Neulich haben wir eine Diskussion über ein Digitalprojekt nach 15 Minuten abgebrochen, bevor es wieder laut wurde. Am nächsten Tag konnten wir viel sachlicher weitermachen.“

Der Vater nickte und fügte hinzu:
„Es fällt mir schwer, Kontrolle abzugeben. Aber ich sehe, dass ihr es ernst meint – und nicht gegen uns arbeitet, sondern mit uns.“

Zum ersten Mal seit Monaten lachten alle wieder gemeinsam.

Unsere Erkenntnis

Dieser Fall hat uns erneut gezeigt:
Das Storming ist keine Phase, die man möglichst schnell überwinden sollte.
Es ist der Ort, an dem die wahren Themen sichtbar werden: Ängste, Bedürfnisse, Werte.

Gerade in Familienunternehmen, wo berufliche und private Rollen eng verwoben sind, kann dieser Sturm existenziell wirken. Doch wenn man ihn durchsteht – begleitet, strukturiert, ehrlich – dann entsteht daraus eine Basis, die stabiler ist als jede scheinbare Harmonie.

Fazit

Konflikte sind kein Zeichen von Scheitern.
Sie sind der Rohstoff für Entwicklung.

👉 Genau hier begleiten wir Teams und Unternehmen als Mediatoren: Wir helfen, Defizite bewusst zu machen, Regeln für Zusammenarbeit zu entwickeln und eine echte Konfliktkultur zu etablieren. Denn Zukunft entsteht nicht in der Abwesenheit von Konflikten – sondern in der Fähigkeit, mitten im Sturm handlungsfähig zu bleiben.