Das Bild brachte die Lösung, Teil 2

Reiner Ponschab /
Wissenswertes

Ein Fall aus der Praxis von Dr. Reiner Ponschab 1

Fortsetzung … Reflexion der Einzelgespräche/Gemeinsame Sitzung

Die Reflexion der Gespräche ergab für mich, dass es beiden Seiten, wie fast immer, um Anerkennung und Wertschätzung ging, einmal durch offene und empathische Kommunikation und einmal in Form von Respekt gegenüber der Arbeit des Anderen und seinen Mitarbeitern.

Die auf die Einzelgespräche folgende gemeinsame Sitzung fand in angespannter Situation statt. Vor deren Beginn hatte mich Bernhard gefragt, ob es überhaupt noch Sinn mache, die Mediation fortzusetzen. Das beunruhigte mich nicht weiter, denn nach meiner Erfahrung gibt es bei den meisten Mediationen einen Moment des „Fast-Scheiterns“.

Nachdem ich die Zuversicht Bernhards in eine positive Entwicklung gestärkt hatte, bat ich beide Seiten, die Konfliktsituation auf einem Flip-Chart zu visualisieren. Bernhards Darstellung fand ich besonders interessant. Sie zeigte zwischen beiden Betriebsteilen eine große Mauer, die die Kommunikation mit der anderen Seite und zugleich die Sicht dorthin versperrte.

Das Unternehmen war in dieser Darstellung zweigeteilt.

Provokation als Türöffner

Meiner Intuition folgend forderte ich beide Seiten auf, zu überlegen, wie man die Mauer auf Bernhards Zeichnung weiter erhöhen und verstärken könnte. Diese Provokation2 hat die beabsichtigte und gleichzeitig verblüffende Wirkung, dass Adrian und Bernhard mich stattdessen fragten, wie man denn meiner Meinung nach die Mauer abbauen könnte. Ich entgegnete, da hätte ich keine Ahnung, das müssten doch beide am besten wissen, sie hätten ja in mühevoller Arbeit die Mauer gebaut. Nebenbei bemerkte ich, dass es auffallend sei, dass keiner versuche, um die Mauer herum zu gehen. Dann vertagte ich die Sitzung um drei Wochen, da es an diesem Tag nicht möglich erschien, zu Lösungen zu kommen.

Die überraschende Kursänderung

Einige Tage später rief mich Adrian an und erklärte mir zu meiner Verblüffung, dass sie keinen weiteren Termin bräuchten, sie hätten alles geklärt. Der Hinweis, man könnte um die Mauer herum gehen, habe ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Er habe einfach einen Versuch gewagt und sich zum Mittagessen mit Bernhard in der Kantine der Produktion getroffen. Sie hätten sich genügend Zeit für ein Gespräch genommen, lange miteinander diskutiert und seien dabei auch von den erstaunten Mitarbeitern Bernhards gesehen worden. Nach eineinhalb Stunden seien beide davon überzeugt gewesen, dass die einzige Lösung für beide Seiten nur sein könne, einfach dem anderen zuzuhören und dessen Bedürfnisse anzuerkennen. 

Was für eine Wendung!

Ich bestand trotzdem auf einem Abschlusstermin, um festzustellen, ob diese „Kursänderung“ nachhaltig sei. Als Adrian und Bernhard den Raum betraten, konnte ich schon an ihren Gesichtern ablesen, wie sehr sich das Klima zum Guten geändert hatte. Schnell stellte sich heraus, dass das wichtigste Bedürfnis von Adrian, öfters mit Bernhard zu sprechen, erfüllt ist, da sich Bernhard nicht mehr der Kommunikation verweigere. Bernhard seinerseits bestätigte, dass ihn der Umstand, dass Adrian seine Situation anerkannt habe, auf ihn zugegangen und von seinem „hohen Ross“ heruntergestiegen sei, sehr beeindruckt habe. Man habe auch erkannt, dass ein Teil des Konfliktes an ihrer unterschiedlichen Art des Umgangs gelegen hat. Meinem Vorschlag, eine Schlussvereinbarung schriftlich niederzulegen, widersetzten sich beide mit dem Satz: „Es ist doch alles geklärt!“

Fazit

Diese Mediation ist untypisch und unerwartet verlaufen. Aufgrund eines Hinweises hatte Adrian die Initiative ergriffen und genau das getan, was sich Bernhard gewünscht hatte. Bernhard hatte seinerseits umgehend reagiert und seine Anerkennung in Form von offener und empathischer Kommunikation weitergegeben. Das Verhalten, das zur Eskalation geführt hatte, hatte durch seine Umkehrung die Lösung bewirkt. Sie bestand „technisch“ gesehen darin, dass das „systemische Schwungrad“ angehalten und in umgekehrter Richtung bewegt werden konnte – oder wie es in gehobener Sprache heißt:

 „Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug.“ 3

Am meisten freute sich wohl Dr. Gutfürst über diesen Ausgang.

Alle speziellen Angaben dieses Falles wurden aus Gründen der Diskretion verändert.

Der bewusste Einsatz von Provokation beruht auf der Arbeit des amerikanischen Arztes und Therapeuten Frank Farelly (Provokative Therapie), durch die mit humorvoller Provokation Widerspruchsgeist, Selbstverantwortung und Eigenständigkeit geweckt werden sollen (Farelly, Frank, Brandsma, Jeff: Provokative Therapie. Heidelberg, 1986; Höfner, Noni: Glauben Sie ja nicht, wer Sie sind! Grundlagen und Fallbeispiele des Provokativen Stils, Heidelberg, 2011)

Richard Wagner, Parsifal, 3. Aufzug

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