Storytelling – seit Jahrtausenden erfolgreich praktiziert

Reiner Ponschab /
Wissenswertes

Schon seit vielen Jahren hält sich ein Trend im Marketing: Das Storytelling oder, auf deutsch, Geschichten erzählen. Die dahinterstehende Aufforderung lautet: Mache aus Deinem Produkt oder Unternehmen eine Geschichte! Dass das Sinn macht, ist schon seit Jahrtausenden belegt, denn schon immer wurde Wissen und Weisheit in Form von Symbolen, Metaphern und Geschichten weitergegeben. So sind von Jesus in der Bibel allein mehr als 40 Gleichnisse und Parabeln überliefert (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Gleichnisse_Jesu). Diese Kunst hat das Marketing inzwischen für seine Zwecke entdeckt.

Wenn immer sich Menschen von der Komplexität der Lebensumstände und Sachverhalte überfordert fühlen, suchen Sie danach, diese Überfülle zu reduzieren. Eine der wirkungsvollsten Möglichkeiten hierzu ist das Erzählen einer Geschichte oder eines Witzes. Dadurch konzentriert sich die Betrachtung auf den Wirkungsfaktor, der dem Geschichtenerzähler besonders wichtig erscheint.

Wie schon gesagt, haben die Menschen Storytelling nicht erst vor einigen Jahren erfunden, sondern sind seit Urzeiten Geschichtenerzähler (Haft, Fritjof: Verhandeln-Die Alternative zum Rechtsstreit, München, 1992, S.96). Daher verwundert es nicht, wenn sich Autoren, Werber und Berater dieses Mittel zu eigen machen – und das ist auch durchaus sinnvoll. Geschichten aktivieren Gehirnareale, die durch das Einfließen von Emotionen das Erleben intensivieren. Dadurch bleibt das Erzählte länger im Gedächtnis.

Die nachfolgenden Bücher sind eindrückliche Belege dafür, dass die Kunst des Storytellings schon länger existiert. Hier allerdings nicht für Zwecke des Marketing, sondern zur Vertiefung therapeutischer Gespräche und Erleichterung der Mediation. In diesen Büchern werden die Texte der Autoren mit zahlreichen Geschichten (Märchen, Sagen, Aphorismen und Sinnsprüche) aus aller Welt verbunden, um die mit ihnen unterlegten Texte auf den Punkt zu bringen.

Jorge Bucay, einer der bekanntesten argentinischen Gestalttherapeuten, aus einer Familie mit arabisch-jüdischen Wurzeln stammend, erzählt in seinem Buch die Begegnungen zwischen dem Psychotherapeuten Jorge und einem jungen Mann namens Demian. In den Sitzungen verhilft Jorge mit zahlreichen Geschichten seinem Patienten zum Verstehen der eigenen Ängste und Probleme. Dabei lässt er uns an antiken Sagen teilhaben, ebenso wie an sephardische Legenden, Sufi-Gleichnissen, Zen-Weisheiten oder Märchen aus verschiedenen Kulturkreisen. Das Wichtigste ist es, dieses Buch selbst zu lesen, denn, wie es am Schluss des Buches heißt: „Die Arbeit, in der Tiefe jeder Geschichte den versteckten Diamanten zu suchen, ist Aufgabe jedes Einzelnen.“

Bucay, Jorge: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte, Frankfurt, 1.Auflage 2007 (18. Auflage 2017)

Nossrat Peseschkian, Psychiater und Neurologe, im Iran aufgewachsen und mit 20 Jahren nach Deutschland emigriert, schildert Begebenheiten aus seiner psychotherapeutischen Praxis, die er mit wunderbaren Geschichten verbindet, die vorwiegend aus dem Orient stammen. Allein diese „stories“ sind ein Schatz, dessen Entdeckung sich unbedingt lohnt. Besonders beeindruckt hat mich der angeblich von Mohammed stammende Satz, den er einem Gläubigen gesagt haben soll, der sich über den Diebstahl seines Kamels während des Gebets beschwerte: “Glaube an Gott und binde dein Kamel fest“: auch wenn wir fest an religiöse Vorstellungen oder Ideen  glauben, sollten wir die Realitäten des Lebens nicht verdrängen.

Peseschkian, Nosrat: Der Kaufmann und der Papagei, Frankfurt, 1991

Ed Watzke, Mediator, Sozialarbeiter und Psychotherapeut aus Wien, schildert den Prozessablauf eines hitzigen Nachbarschaftskonfliktes zwischen 2 Frauen mittleren Alters, die er aus ihren Kriegswirren über die von ihm so bezeichnete Metaphernbrücke zum Frieden führt. Zahlreiche Geschichten verdeutlichen die Punkte, die dem Mediator auf dem Weg zum Frieden wichtig erscheinen. Alleine die erzählten Geschichten, Weisheiten und Bezüge sind so lesenswert, dass sie den Kauf des Buches rechtfertigen. Es fällt schwer, eine Geschichte oder einen Satz besonders hervorzuheben; trotzdem möchte ich einen meiner Lieblingssätze, den Watzke zitiert – und der viele Berater brotlos machen könnte -, nIcht verschweigen: „Wenn dein Pferd tot ist, steig ab“ (Sprichwort der Dakota-Indianer).

Watzke, Ed: Wahrscheinlich hat diese Geschichte gar nichts mit Ihnen zu tun, Godesberg, 2008